Der Eisenbahner auf der Eisbahn

ESV Lok Chemnitz: Timon Grancagnolo

Im deutschen Renn-Rodelsport ist er „eine ziemlich sichere Wette auf die Zukunft“, schrieb die Chemnitzer Freie Presse über den U23-Weltmeister Timon Grancagnolo und dessen überraschenden Erfolg bei der Rodel-WM Ende Januar in Oberhof. Dabei gab das 19-jährige Vereinsmitglied des Eisenbahner-Sportverein (ESV) Lok Chemnitz erst im vergangenen Dezember sein Debüt im Herren-Weltcup auf der Eisbahn in Innsbruck-Igls, wo er auf Anhieb als bester Deutscher in die vorderen Plätze fuhr.

Seine langjährige ESV-Trainerin Romy Reinhold begleitete ihn bis vor kurzem noch als Physiotherapeutin der Junioren-Nationalmannschaft. Sie weiß, dass die Zielstrebigkeit ihres Schützlings ein entscheidender Faktor seines heutigen Erfolgs ist: „Timon wusste von Anfang, was und wo er hinwollte, steckte sich früh seine Ziele, die er erreichen wollte.“ Dies merkt man auch an seiner ausgeprägten Reife, trotz des noch jugendlichen Alters. Dass er dabei nie seine Wurzeln und die Verbundenheit zu seinem Heimatverein verloren hat, ist für Reinhold ein ebenso starkes Zeichen seines Charakters: „Selbst als Timon schon größere Rennen im Junioren-Cup fuhr, hat er sich danach immer gleich für die Fortschritte seiner ESV-Kamerad:innen erkundigt, und unterstützte sie - wenn möglich - noch am gleichen Tag bei deren Wettkämpfen direkt an der Strecke.“

Den Weg zum ESV Lok Chemnitz fand Timon als Sechsjähriger über seine Schwester und den Kindergarten. Zunächst spielte er neben dem Rodeln noch drei Jahre in der Handballabteilung des ESV, ehe er sich dann für den Leistungssport Rodeln entschied und als Sechstklässler den Sprung von Chemnitz hinüber ins Sportinternat nach Oberwiesenthal wagte. Die Grundlage seiner stetigen Entwicklung zu einem der derzeit besten deutschen Rennrodel-Sportler Deutschlands.

Mindestens 30 Wochen im Jahr ist der Sachse mittlerweile für seine Leidenschaft unterwegs: sei es bei den über den Globus verteilten Weltcup-Rennen, oder auf seiner Heimateisbahn in Altenberg sowie den Eiskanälen von Oberwiesenthal und Oberhof. Hinzu kommen die Sommertrainingslager in Zinnowitz und Aufenthalte im Olympia-Trainingszentrum in Kienbaum. Als Sportsoldat und derzeitiges Mitglied der Bundeswehr-Sportfördergruppe in Frankenberg hat Timon beste Voraussetzungen, um den Sprung in die Rodel-Weltelite zu schaffen – um damit seinem großen Ziel näherzukommen: der Olympia-Teilnahme 2026 in Mailand. Davor steht aber noch die Titelverteidigung seines U23-WM-Titels bei der Heim-WM 2024 in Altenberg an.

Jochen Fischer vom VDES sprach mit dem bekannten Vereinsmitglied des ESV Lok Chemnitz: über seinen außergewöhnlichen Namen, das Vereinsleben und sein Potential, mit dem er sich in der Rodel-Weltspitze etablieren möchte:

Timon, Grancagnolo klingt eher italienisch als sächsisch? Woher stammt deine Familie ursprünglich?

Die Familie meines Vaters kommt ursprünglich aus Sizilien. In meiner Kindheit bin ich mit meinen Eltern regelmäßig dorthin in Urlaub geflogen und habe meine Verwandten besucht. Ich selbst spreche aber kein Italienisch.

Wie bist du zum ESV Lok Chemnitz gekommen?

Ich bin mit fünf Jahren zum ESV gekommen, mit sechs Jahren das erste Mal gerodelt –  der erste Kontakt entstand über eine schon lange bestehende Kooperation des Vereins mit meinem Kindergarten. In der ESV-Kindergartengruppe werden die Kinder früh zum Sport machen animiert und an das vielfältige Sportangebot des ESV herangeführt. Der Leiter der Rodelsport-Abteilung des ESV, Jens Weinhold, hat mich animiert, die Sommerrodelbahn unseres Nachbar-ESV Lok Zwickau auszuprobieren. Gleichzeitig hatte mich meine ältere Schwester inspiriert, die damals schon in der Handball-Abteilung des ESV war - deshalb habe ich während der ersten drei Jahre meiner ESV-Mitgliedschaft neben dem Rodeln auch noch Handball gespielt.

Wann hast du deine langjährige ESV-Trainerin Romy Reinhold – die an deiner Entwicklung maßgeblichen Anteil hat - erstmals getroffen?

Meine erste Erinnerung daran ist, dass Sie uns fragte, was wir denn in unseren Zuckertüten hätten – das muss also um meine Einschulung herum gewesen sein. Sie kennt mich am besten, mit ihr kann ich über alles reden. In den vergangenen fünf Jahren begleitete sie mich auch als Physiotherapeutin in der Junioren-Nationalmannschaft und ist nebenbei noch so etwas wie die „kleine Mentaltrainerin“ des Teams.

Was macht für dich den Reiz des Rodelns aus?

Es ist vor allem die enorme Geschwindigkeit - im gewissen Sinne bin ich „geschwindigkeitsverrückt“! Das macht mir am meisten und im Eiskanal immer wieder aufs neue Spaß. Glücklicherweise bin ich dabei bisher von größeren Verletzungen verschont geblieben – in meiner Jugend hatte ich lediglich mal einen angebrochenen Arm.

Welchen Anteil hat der ESV Lok Chemnitz an deinem Erfolg?

Als die ersten größeren Erfolge kamen und ich den Wunsch hatte weiterhin beim ESV zu bleiben, haben sich alle meine Trainer dafür eingesetzt, einen Sponsor zu finden, der es mir ermöglichte, alle anfallenden Lehrgangskosten im Zusammenhang mit meiner sportlichen Weiterentwicklung abzudecken. Natürlich habe ich hier auch persönliche Freunde, denen ich viel zu verdanken habe, weshalb ich dem ESV bis heute treu geblieben bin.

Woher kommt diese Bindung zu deinem ESV?

Ich habe dem Verein viel zu verdanken und mir ist es wichtig, dass er weiterhin so gute Arbeit macht. Mein sechs Jahre jüngerer Bruder profitiert auch davon und besucht mittlerweile - ebenso wie ich damals - das Sportinternat in Oberwiesenthal. Der Verein ist wie eine große Familie, alle kennen sich gut untereinander und machen auch viel zusammen. Gerade in der Rodelabteilung gibt es das Jahr über immer mal wieder auch spontan organisierte Feste, bei denen man gerne zusammenkommt und gemeinsam feiert.

Was sind deine Stärken, was zeichnet dich aus beim Rodeln – womit erklärst du dir deinen momentanen Erfolg?

Ich bin ein recht entspannter Typ, kann mit Druck relativ gut um gehen - das hat mich schon immer ausgezeichnet. Keine Ahnung, womit das zusammenhängt, möglicherweise mit meiner Erziehung oder allgemeinen Sozialisation. Das nutze ich jedenfalls zu meinem Vorteil. Gerade, wenn es gegen ältere, erfahrenere Kontrahenten geht, hilft mir das im Eiskanal.

Was bedeutet der U23-Weltmeistertitel für Dich?

Der U23-WM-Titel zeigt mir, dass ich sportlich auf einem guten Weg bin, irgendwann mein großes Ziel zu erreichen, ganz oben zu stehen. Gleichzeitig zeigt mir das in die Herrenwertung eingebettete Gesamtergebnis aber auch, dass noch ein guter, großer Schritt zu tun ist, um ganz vorne in der Weltspitze mitzufahren. Die Defizite liegen eindeutig noch am Start – da muss ich im kommenden Sommer zusammen mit den Trainern gut dran arbeiten, dann kann es vielleicht noch weiter nach vorne gehen.

Was interessiert dich noch, insbesondere in beruflicher Hinsicht?

Ich bin sehr technik-affin, interessiere mich für technische Komponenten wie PCs, Handys sowie für Informationstechnologien (IT) im Allgemeinen…und „Klemmbausteine“ (LEGO!-). Nach meiner Karriere könnte ich mir aber auch gut vorstellen, als Rodel-Trainer zu arbeiten.

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Autor:
VDES Team
14.3.2023
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